Hendrik Haase zeigt in seinem wunderbaren Buch Stadt-Land-Wurst auf der zweiten und dritten Seite den Anblick, der sich in mein kulinarisches Gedächtnis eingegraben hat wie kein anderes Bild. Ich muss so um die sechs Jahre alt gewesen sein. Meine Oma in Frankenberg hielt ein paar Schweine und schlachtete noch am eigenen Hof.
Dunkel erinnere ich mich an das Prozedere: Grunzen, Quieken, Dampfschwaden, blutige Gummistiefel, riesige Kessel und vor allem dieser unglaubliche Duft. Hier wurden Würste gebrüht. All die Köstlichkeiten aus dem Kessel kamen anschließend zum Teil in den Rauch und dann in eine Kammer, auf halbem Wege vom ersten Stock in’s Dachgeschoss gelegen und wahrscheinlich extra für die Wurst- und Schinkenlagerung gebaut. Dunkel, aber luftig. Die Wände aus Lehm. Dort hingen meine Sehnsüchte.
Wann immer ich meine Oma besuchte, schlichen sich mein Vetter und ich immer mal wieder in diese Kammer. Wir legten uns auf den Steinfußboden, verschränkten die Arme hinter dem Kopf und schauten verlangend in den Wursthimmel. Die Stracken, die Blasen und die Schinken verströmten einen intensiven Duft nach Rauch und Gewürzen. Fetttröpfchenen glitzerten an den Wurstenden in den Sonnenstrahlen, die sich durchs Gebälk stahlen wie magisch funkelnde Stalagtiten. Wir sogen die Luft ein wie alte Connoisseures und das Wasser schoß uns in den Mund. Ich habe heute noch dieses Geschmackserlebnis auf der Zunge. Es wa wie der erste Orgasmus.
In unserem gutbürgerlichen Zuhause war Schmalhans zwar kein Küchenmeister, es wurde aber darauf geachtet, dass wir Kinder die Teller nicht überhäuften. Mutter kochte fantastisch und es fiel schwer, sich zurückzuhalten. Ganz im Gegensatz dazu die Ferien bei der Oma: Die Tische bogen sich mit den schweinernen Schätzen. Oma sah es gerne, wenn ihre Enkel so richtig zulangten, denn zuhause schien es wohl nichts Ordentliches zu geben. Ich nutzte das schamlos aus: Die Schwartemagenscheiben so dick wie die Brotschreiben. Mindestens. Mutters Gezeter half nichts. Oma nahm mich in Schutz, gab mir Recht und noch ne Scheibe obendrauf.
Es geht das Gerücht, ich hätte sogar in einem unbeobachteten Moment die Brote doppelt belegt: Eine Scheibe obendrauf, eine darunter. Das will ich mal undementiert so stehen lassen. Bei Wurst wurde ich hemmungslos. Ich kann mich an eine Geschichte erinnern: Mit den Pfadfindern ging es auf Wanderung und Mutter hatte mir einen halben Ring luftgetrocknete Mettwurst mitgegeben. Nebst vier Butterstullen. Jeder andere hätte folglich abwechselnd in die Wurst und ins Brot gebissen. Bei jeder Pause vernichtete ich mit Todesmut zwei Butterstullen (die ich ob ihrer vermeintlichen Geschmackslosigkeit hasste). Dann, auf dem Rückweg, als alle anderen ziemlig fertig waren, schritt ich mit der halben Wurst in der Faust, genüsslich mümmelnd und jeden Bissen geniessend nach Hause. Die Anstrengung und die Askese hatten sich gelohnt.
Später, auf dem Gymnasium – damals noch vor-68 streng reglementiert – galt die strikte Regel, zu den Pausen den Hof nicht zu verlassen. Immerhin lag das Gelände mitten in der tosenden Großstadt. Und ein Metzgerladen direkt nebendran. Von Mutter bestens mit Hasenbroten versorgt, war externes Catering eigentlich unnötig. Wenn besagte Brote in meinen Augen nicht gegen die Menschenrechte verstoßen hätten. Durfte ich zum Frühstück und Abendbrot noch je Brotscheibe eine – mehr oder eher weniger dicke – Scheibe Wurst auflegen, waren es bei Hasenbroten nur noch eine Scheibe Wurst zwischen zwei Scheiben Brot! Meine Mutter hätte wissen können, dass ein Gymnasiast nicht so schnell auf diesen Betrug reinfallen würde.
So war es beschlossene Sache, dass die für die zweite Pause vorgesehenen Brotbeläge auf die Erstpausenbrote wanderten und die nun verwaisten Brote Tauben glücklich machten. Blieb noch das Problem, den Zweitpausenhunger zu stillen. Wo eine Wurst ist, ist auch ein Weg. Und ein Toilettenfenster mündete gerade gegenüber dem Metzger auf die Straße. Ich zwängte mich also nach draussen (damals ging das noch), orderte ein paar Gref-Völsings (Frankfurter Rindswürste) oder Frikadellen (in köstlichem Wurstfett erstarrt) und stahl mich mit Hilfe von Kameraden auf den Schulhof zurück, wo ich die Würste gierig knackte, dass das Fett nur so herausspritzte. Das animierte ein paar Freunde und so hatte ich bald die ersten Bestellungen für meine Beutegänge. Was zu einem logistischen Problem führte: Mit etlichen Tüten bepackt war die Rückkehr behindert und ich war gezwungen, in von der Pausenaufsicht unbeobachteten Momenten, ganz offiziell durchs Tor zu marschieren. Es kam, wie es kommen musste. Ich wurde erwischt und fortan mit dem Titel „Hanswurst“ veräppelt. Bei mangelnden Leistungen hieß es dann immer, ich hätte wohl nur Wurst im Kopf. Da lagen die gar nicht mal so falsch.
Wurst ist auch heute noch mein Gemüse. Als alle elterlichen Reglements nicht mehr griffen und ich auf eigenen Füßen stand, holte ich natürlich alles nach, was mir immer vorenthalten wurde. Wurst satt. Bis zum Abwinken. Irgendwann setzte nach einem fürchterlichen Wurstkater endlich wieder der Verstand ein. Freunde und Kollegen lehrten mich, meinen Geschmacksinn zu schärfen. Sogar die Butterstulle wurde rehabilitiert (aber bitte nur mit bester Butter vom Bio-Hof). Wurst ist täglicher Bestandteil meiner, leider immer noch nicht ausgewogenen Ernährung. Aber ich arbeite daran. Ein Schritt dazu geht weg von der Industriewurst, wieder hin zu den handwerklich sauberen, mit Hingabe gemetzgerten Produkten. Dass ich dafür einen anderen Preis bezahlen muss, ist klar. Es muss ja nicht mehr so viel sein. Weniger ist mehr.
Deutschland ist ein Wurstland. Über 60 % des deutschen Fleischverzehrs besteht aus Wurst. Über 1500 Wurstsorten gibt es in Deutschland. Aber das meiste davon stammt aus den Fabriken der Großmärkte oder von regionalen Metzgern, die sich dem Kostendruck mit Billigware entgegen stemmen. Immer mehr alteingesessene Metzger, die ihre Rezepte von Generation zu Generation vererbten, sterben aus. Wir Verbraucher haben es im Portemonnaie, dieses Erbe zu bewahren. In diesem Sinne möchte ich hier meine subjektive Auswahl von Würsten präsentieren. In der Hoffnung, dass der Absatz der Hersteller auch auf diesem Weg ein kleines bisschen mehr gesichert wird.
Hallo! Wir sind eine kleine Agentur in München und haben heute einen Tresen in unsere kleinen Mittagspausen-Küche eingeweiht. Um echtes Currywurstbuden-Feeling dort hin zubekommen, würden wir gerne ein Bild einer solchen aufhängen – wäre es möglich, das Currywurstmuseum-Photo von Ihnen zu bekommen? Freue mich auf Ihre Rückmeldung! Herzliche Grüße!
Hallo Julia,
klar können Sie das Bild haben. Senden Sie mir Ihre Mail-Addi an kritzlibaer@web.de, dann schicke ich es in hoher Auflösung (über wordpress-reply geht das nicht).
Lieber Hanswurst,
finde ebenfalls keine Mail-Adresse von Dir. Melde Dich bitte mal bei mir unter biedermann@lbuch-schmie.de. Hätte einen Vorschlag für ein Kochbuch, vorzugsweise unter dem Titel „Wurst ist auch heute noch mein Gemüse“. Deine Schreibe ist gut, ließe sich was draus machen.
Liebe Grüße
Thomas
Hey Henning Raab. Hast ja echt ne witzige Seite aufgebaut. Ich hoffe du nimmst am Gewinnspiel teil. Dir fällt sicher etwas interessantes ein. Du scheinst ja echt ein wahrer Wurstfan zu sein. Ich hoffe auf deinen Beitrag und wünsche Viel Glück
Liebe Grüße aus dem Wursthimmel sendet euch
die Knuffelwurst
Danke, liebe Knuffelwurst,
hoffentlich bist du nicht an einer vergammelten Leberwurst verschieden und grüßt aus dem jenseitigen Wursthimmel! Ich stelle mir lieber mal vor, Du stehst auf einer Leiter auf dem Dachboden einer alten Metzgerei zwischen den dort reifenden Würsten. Das ist nämlich der wahre Wursthimmel!
Hallo Hanswurst,
ich finde leider keine Emailadresse von Ihnen. Könnten Sie mir diese bitte zukommen lassen? Ich bin Redakteurin des Portals Schöner Essen (Gruner und Jahr, Hamburg) und würde Ihnen gerne einen Vorschlag unterbreiten.
Viele Grüße,
Biona Schütt
Lieber Herr Hendrik Haase,
mein Name ist Ulli Wiesenbach und ich betreibe ein Blog zu den Themen Essen, Gerichte, Ernährung und Gastronomie: http://gourmet2000.wordpress.com/
Ich beschäftige mich zurzeit sehr intensiv mit dem Thema Linkaufbau und bin auf der Suche nach geeigneten Linkpartnern.
Bei meiner Recherche bin ich auf Ihre Seite wurstsucht.wordpress.com gestoßen, die ich inhaltlich sehr interessant und ansprechend finde. Daher könnte ich mir einen Linktausch mit Ihnen sehr gut vorstellen.
Um eine gute Position seiner Seite bei Google zu erreichen, spielt ja insbesondere die Backlinks eine wichtige Rolle. Von einer Linkpartnerschaft könnte man daher in gleicher Weise profitieren.
Ich würde mich freuen, wenn Sie eine Linkpartnerschaft interessieren würde und warte gerne auf eine Antwort von Ihnen.
Viele Grüße,
Ulli Wiesenbach
Wenn ich mir dies hier durchlese, stelle ich fest, dass irgendwann ein persönliches Treffen vonnöten sein wird. Und sei es, um über die Vorzüge nordhessischer Wurstproduktion zu reden. Ich habe ein Viertel meiner Kindheit im heutigen Wohratal verbracht und weiss, wovon Du redest.
Wohra, Werra, Eder … das ahle Worscht Dreieck! Dass Du ’ne seelenverwandte Worscht sein musst, war mir schon lange klar. Hab’s leider nie in den Engel oder zur fress:publica geschafft. Aber irgendwann klappt’s schon mal…